De losgeslagene
De vrolijke feilbaarheid van Bergoglio
„Dieser Papst macht Stimmung“
SPIEGEL-Gespräch: Der Schriftsteller Martin Mosebach hält es für gefährlich, dass Papst Franziskus vor allem Emotionen bedient und sich durch seine Auftritte auf Kosten der Kirche profiliert.
Der Georg-Büchner-Preisträger Mosebach, 63, gilt als konservativer, manchen gar als reaktionärer Katholik. Seit Jahren beschäftigt sich Mosebach mit der Rolle der Kirche in der Moderne. 2007 kritisierte er in seinem Buch „Häresie der Formlosigkeit“ die Folgen des Zweiten Vatikanischen Konzils, das 1965 endete und eine Neupositionierung der katholischen Kirche brachte. Zuletzt erschien von ihm 2014 der Roman „Das Blutbuchenfest“. SPIEGEL: Herr Mosebach, Sie haben das vergangene Jahr in Rom verbracht. Haben Sie sich der allgemeinen Begeisterung für diesen Papst anschließen können? Mosebach: Ich erinnere mich noch an den Augenblick im März 2013, als ein Kardinal der wartenden Menge verkündete, es sei ein neuer Papst gewählt worden, er nenne sich Franziskus. In diesem Moment wusste ich, welches Problem auf die Kirche zukommen würde. SPIEGEL: Weil der Name Programm war - Armut und Demut statt Pracht und Macht? Mosebach: Ja, Franz von Assisi ist nun einmal die absolute Gegenfigur zum Papsttum: der Antagonist der institutionalisierten Kirche. Er wollte selbst niemals Mitglied der Hierarchie sein. Er war der Hierarchie zutiefst ergeben, aber er vertrat für sich, für seine Mönche und Nonnen ein vollkommen anderes Modell, ein anarchisches. Dabei agierte er unter Innozenz III., einem Machtmenschen, der von Hierarchie und Autorität sehr viel hielt. SPIEGEL: Papst Franziskus trägt schon im Namen einen Widerspruch in sich selbst? Mosebach: Die Kirche, die aus vielen Gegensätzen besteht, lebt auch aus dem Gegensatz zwischen Papst und Franz von Assisi. Er ist für die Kirche fruchtbar. Sie braucht die Institution und den anarchischen Christen. Aber diese beiden Pole können nicht in einer Person zusammenfallen. SPIEGEL: Vielleicht war das ja die Intention des Papstes: von Anfang an zu zeigen, dass er die Kirche wieder näher an die Basis heranführen will? Mosebach: An welche Basis? An die Basis muss die Kirche immer wieder zurückgehen, weil sie eine historische Institution ist und sich auf eine bestimmte Zeit beruft - die sogenannte Fülle der Zeiten, in der Jesus aufgetreten ist. In diese Richtung muss sie immer streben, denn es geht um den Erhalt der Essenz des Glaubens. In der Gegenwart haben wir es mit einer Reduktion der Religion zu tun: Ihre transzendentale Dimension droht unsichtbar zu werden. Und das bedeutet, die Basis, verstanden als der augenblickliche Zustand der Gesellschaft, ist nicht die Basis der Kirche. SPIEGEL: Das spricht für eine Rückkehr zu den Ursprüngen. Die Urkirche war ja eine Bewegung der Armen, der Schwachen, der Unterdrückten und Ausgegrenzten. Mosebach: In der Kirchengeschichte gilt der Satz: Die Armen sind der Schatz der Kirche. Jesus Christus liebte die Armen aber nicht als verhinderte Reiche, sondern als diejenigen, die weniger Ballast mit sich herumtragen und sich dem Reich Gottes leichter zuwenden können. Jesus forderte die Reichen auf, arm zu werden, nicht die Armen, reich zu werden. SPIEGEL: Und warum überzeugt Sie das nicht als Programm für das Papstamt? Mosebach: Das Bedenkliche an Papst Franziskus ist die Stimmung, die er erzeugt - als werde nun eine völlig andere Kirche erfunden, die es in dieser Weise noch nie gegeben hat. Als korrigiere Franziskus eine Fehlentwicklung von Jahrtausenden und schaffe eine neuartige Kirche ohne Dogma, ohne Mystik. Eine Kirche, die sich in Übereinstimmung mit dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Konsens befindet. SPIEGEL: Sie fürchten eine Anpassung an den Zeitgeist? Mosebach: Franziskus geht zumindest in diese Richtung. Und er leistet einer solchen Anpassung Vorschub, indem er sich zweideutig ausdrückt. Das Ganze scheint System zu haben. SPIEGEL: Die Öffentlichkeit schätzt aber gerade seine klaren Aussagen. Mosebach: Nehmen Sie nur Franziskus’ Bemerkung, die Katholiken müssten sich nicht vermehren wie die Karnickel. Großes Gelächter, große Freude über eine sehr saloppe Äußerung. Aber auch eine vieldeutige Äußerung zur Frage der Empfängnisverhütung, die man sowohl sehr puritanisch wie auch sehr permissiv auslegen kann. Er wirft flotte Sprüche in den Raum, löst damit spontane Begeisterung aus, denn das klingt ja so inoffiziell, so unpäpstlich, so unkurial. Und nachher hat dann die Glaubenskongregation die undankbare Aufgabe, das irgendwie zu reparieren und zu deuten, wie es nach kirchlicher Lehre zu verstehen ist. Die Kirche ist ja nicht frei in ihrer Lehre. SPIEGEL: Vielleicht hat Franziskus sich exakt diese Aufgabe gesetzt: die Tradition und ihre Hüterin, die Kurie, zu sprengen? Mosebach: Frau Merkel kann ihr Parteiprogramm auswechseln, wenn sie das vorteilhaft findet, aber der Papst ist an die Tradition gefesselt. Er kann sich von ihr keinen Millimeter entfernen. Nur dann, nur so lange ist er Papst. Er ist nicht frei. Er hat für die Kontinuität der Tradition zu sorgen. Das ist seine wesentliche Aufgabe. SPIEGEL: Ein Papst darf sich doch wohl etwas Neues ausdenken? Mosebach: Franz-von-Assisi-Gestalten, Ordensgründer, Mystiker, die können nach allen Seiten hin die Religion ausloten und viel riskieren. Der Papst kann es nicht. SPIEGEL: Ist die Theologie die schwache Seite von Papst Franziskus? Mosebach: Ich glaube, sie interessiert ihn einfach nicht. Das ist mir offen gestanden ganz sympathisch. Die wissenschaftliche Theologie an den Fakultäten hat im 20. Jahrhundert ganz wesentlich zur Zerredung, zur Entsinnlichung des Glaubens beigetragen. Von der Theologie wird keiner mehr satt. Aber die Simplizität von Franziskus eröffnet nicht unbedingt eine Alternative zur Theologie. SPIEGEL: Zählen Sie dazu auch seinen Stil - den Verzicht auf die roten Schuhe, auf das goldene Kreuz und so weiter? Mosebach: Natürlich liegt darin eine Kritik am Vorgänger. Aber das eigentlich Fatale ist der Effekt, dass es nun so aussieht, als seien die Ornate des Papstes Geschmackssache. Das sind sie aber nicht. Zur Unterwerfung unter das Amt gehört auch die widerspruchslose Annahme der dazugehörigen Kleidung. Der ideale Papst müsste die sein Amt bezeichnenden Kleidungsstücke mit einer Ergebenheit anlegen wie ein Häftling seinen Sträflingsanzug. SPIEGEL: Franziskus umarmt Benedikt vor aller Augen. Das ist doch ein Zeichen des Respekts. Oder soll er ihn ignorieren? Mosebach: Das wäre das Angemessene und keineswegs anstößig. Denn ein zurückgetretener Papst existiert eigentlich nicht mehr. Er besitzt nicht einmal die Freiheit aller anderen Katholiken, sich öffentlich zu äußern. Aber selbst wenn Benedikt tot wäre, wäre es pietätlos, sich so demonstrativ von ihm abzusetzen. Wer alles anders macht, sendet auch ein deutliches Signal, dass das, was vorher war, falsch war. SPIEGEL: So kommt es ja an, auch in Deutschland, wo Papst Benedikt XVI. zuletzt äußerst kritisch gesehen wurde. Mosebach: Die Deutschen sind ein hysterisches Volk, sie schwanken immer unangemessen in ihren Reaktionen. Am Anfang stand „Wir sind Papst“, und zum Schluss war der Papst eine Unperson geworden. Benedikt hatte schon als Kurienkardinal in bestimmten Fragen, etwa zu den Abtreibungsberatungsstellen, eine deutliche Gegenposition zu den deutschen Bischöfen bezogen. Sie durften sich gemaßregelt fühlen. Da war keine Liebe gewachsen. Franziskus dürfte sich eher wenig für die deutsche Kirche interessieren. SPIEGEL: Was will dieser Papst? Mosebach: Es ist sehr schwierig, aus seinen Äußerungen und Handlungen konkrete Schlüsse abzuleiten. Dieser Papst macht Stimmung, er schafft Atmosphäre. Aber Atmosphäre ist eben keine Lehre. Es war sehr aufschlussreich, ihn sagen zu hören: „Wer bin ich, dass ich richte?“ Ein schöner Satz, ein apostolischer Satz, aber als Papst darf er das nicht sagen. SPIEGEL: Es war einer der Sätze, die großen Beifall ausgelöst haben. Mosebach: Selbstverständlich! Das Publikum liebt die einnebelnde Entrückung. Das Dogma verblasst, die dogmatischen Berggipfel liegen jetzt in den Wolken, und wir leben auf der Erde sehr vergnügt und sehen das alles nicht so streng. SPIEGEL: Aber der Kern der evangelischen Botschaft - die Menschwerdung Gottes, der Opfertod am Kreuz, die Erlösung - bleibt doch unverrückbar. Mosebach: Die Menschwerdung Gottes, die Inkarnation des Schöpfergottes, ist ein Unterscheidungsmerkmal zwischen dem christlichen Glauben und anderen Religionen. Die Plätze zwischen Schöpfer und Geschöpf in einer großen Rochade zu vertauschen: Das ist die Einzigartigkeit des Christentums. Davon zehren sogar die philosophischen Gegner der Kirche. SPIEGEL: Wieso? Mosebach: Es geht um nichts Geringeres als um die Lehre von der Vergöttlichung des Menschen. Die Kirchenfeindlichkeit der Aufklärung mit ihrer Vorstellung der Autonomie des Menschen ist nichts anderes als eine christliche Häresie. SPIEGEL: Und selbst die Aufklärung, das Mündigmachen der Menschen, hängt an der christlichen Offenbarung? Mosebach: Die Aufklärung ist ohne das Christentum überhaupt nicht zu denken. Deswegen ist es auch so sonderbar, das Fehlen von Aufklärung in anderen Religionen zu beklagen. Das Inkarnationsmotiv ist die Voraussetzung für Aufklärung. SPIEGEL: Würde der Papst das auch so sehen? Mosebach: Er würde vermutlich das Wort Häresie vermeiden. SPIEGEL: Er verhält sich eher wie der Chef einer global agierenden Nichtregierungs-Organisation. Mosebach: Das ist er aber nicht. Der Papst muss nicht auf Wählerstimmen achten, obwohl die Autorität von Franziskus sich gegenwärtig in hohem Maß auf diese Art von Zustimmung stützt. Es kommt mir manchmal so vor, als ob Franziskus sich auf Kosten der Kirche profiliert. Er springt zum Beispiel außerordentlich rabiat mit den Bischöfen um. Wenn Papst Benedikt mit einem einzigen Bischof so umgegangen wäre, dann hätte es einen Aufschrei gegeben. Denn der Bischof hat nach katholischem Recht sein Amt von Christus und nicht vom Papst; er soll eine sehr starke Rechtsstellung gegenüber dem Papst haben. SPIEGEL: Sucht Franziskus die Machtprobe mit dem Kirchenapparat? Mosebach: Wir haben einen Papst, der einerseits die zärtliche Kirche beschwört, andererseits sehr hart regiert und in die Bistümer eingreift. Für das Publikum sieht es so aus: hier der dynamische, unkonventionelle, mutige Papst mit dem goldenen Herzen, dort ein verkrusteter, toter, glaubensloser, unbeweglicher Apparat. So einfach ist es aber nicht. SPIEGEL: Seine harsche Abrechnung mit der Kurie, in der er den Kardinälen geistlichen Alzheimer und Materialismus vorwarf, klang durchaus wie eine Kampfansage. Mosebach: Ja, stellen Sie sich mal vor, der Chefredakteur des SPIEGEL würde seinen Ressortleitern eine solche Rede halten. SPIEGEL: Die Kardinäle nahmen die Strafpredigt erstaunlich ungerührt hin. Mosebach: Es gibt in der Kurie eine hohe sprachliche Fähigkeit, Skandale wegzuformulieren. Die Rede von Franziskus war ein starkes Stück. Wie in jeder Körperschaft gibt es auch in der Kurie fragwürdige Figuren, aber auch sehr viele loyale und pflichtbewusste Persönlichkeiten. Die wurden alle einfach mit in den Topf geworfen. Wer heute sagt, er arbeite in der römischen Kurie, stellt sich damit vor als jemand, der schizophren, mit Alzheimer behaftet, glaubensleer und geldgierig ist. SPIEGEL: Müssten nicht einige nun von sich aus ihren Rücktritt anbieten? Mosebach: Wieder bedient der Papst Emotionen und Vorurteile. Aber er sollte die institutionelle Seite der Kirche nicht schlechtmachen, sondern erklären, wofür sie da ist. Im Übrigen: Wenn man der Korruption den Kampf ansagt, wäre es richtig zu sagen, Korruption in den und den Fällen ist eine Todsünde, die von der Kommunion ausschließt. SPIEGEL: Setzt Franziskus zu sehr auf Charisma statt auf klare Führung? Mosebach: Für das Papstamt hat Charisma eigentlich keine Funktion. Der erste Papst war Petrus, der Mann, der den Herrn verleugnet hatte. Der Charismatiker war Paulus. Der beste Papst ist einer, der ganz hinter das Amt zurücktritt. Einer, der sich unter dieses Amt beugt wie unter eine schwere Last. Die Gewänder, die die Päpste früher trugen, sind ein Bild dafür. Die Päpste verschwanden früher förmlich unter ihren Ornaten. Und man sollte sie auch gar nicht mehr sehen, denn sie waren ja nur die Stellvertreter Christi. SPIEGEL: Und nicht die Volksprediger, nach denen die Mediengesellschaft verlangt? Mosebach: Ich vermisse bei Franziskus die Bereitschaft, sich unter das Amt zu beugen. Das wäre Demut und Bescheidenheit, und dann ist es unerheblich, ob der Papst im Palast oder im Hotel schläft. SPIEGEL: Er gibt den Menschen aber das Gefühl, einer von ihnen zu sein. Was ist daran verkehrt? Mosebach: Schlichte, entspannte, unpompöse Päpste hat es in der Kirchengeschichte immer wieder gegeben. Johannes XXIII. zum Beispiel gab sich betont einfach. Und gelegentlich sogar naiv. Aber er tat nicht, als sei er der erste Papst, der die Kirche richtig verstanden hat. SPIEGEL: Franziskus bezieht auch unbequeme Positionen, solche, die dem Zeitgeist entgegenstehen. Mosebach: Das ist richtig, aber das besagt noch nichts über die Art seiner Amtsführung. Er ist es, dem das Publikum, vor allem im Westen, zujubelt, nicht der Kirche. SPIEGEL: Kann Franziskus die Kirche hierzulande wiederbeleben, indem er den Enthusiasmus der Gläubigen auf Kosten einer als verknöchert empfundenen Kirche anfeuert? Mosebach: Wir sind Zeugen eines gewagten Experiments. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass es auf den jeweiligen Papst letztlich nicht ankommt. Das sage ich als Katholik, für den der Papst eine Instanz ist, die ich wirklich ernst nehme. Am Ende kommt es auf die Kontinuität an. Alles, was der Kontinuität nützt, ist gut für die Kirche. Was sie unterbricht, ist nicht gut für die Kirche. SPIEGEL: Herr Mosebach, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Quelle: Der Spiegel Nr. 22 – 23.05.2015, Seite 27-29 |
Geen opmerkingen:
Een reactie posten